1. LOTTO-Talk: „Der Fußball hat eine hohe soziale Verantwortung“

 Hamburger Fußball-Verband zusammen mit HFV-Partner LOTTO Hamburg im Hotel Le Meridien zum „1. LOTTO-Talk“ ein. Thema der Veranstaltung: 

Wird der Fußball seiner sozialen Verantwortung gerecht? – Oder bestimmen Gewalt, Profitsucht, Homophobie, veraltete Strukturen und Umweltsünden den sportlichen Alltag?“ Als Talk-Gäste hatten sich Prof. Dr. Rainer Moritz (Leiter Hamburger Literaturhaus, Literaturkritiker, Buch-Autor, Fußball-Kenner), Marcell Jansen (HSV-Präsident, Ex-Nationalspieler) sowie Lutz Lüttig (Sport-Journalist, Ex-DFB-Schiedsrichter, Trainer Mädchen-Fußball) angekündigt. Moderiert wurde die eifrige Diskussionsrunde von Birgit Hasselbusch (Sportkommentatorin, Buchautorin) und Carsten Byernetzki (Pressesprecher Hamburger Fußball-Verband).

„Ich würde jedem Kind, was Bock auf die Kugel, unbedingt dazu raten, Fußball zu spielen“
Gleich zu Beginn machte HSV-Präsident Marcell Jansen klar, dass sich hinter der sozialen Verantwortung „ein großer Begriff“ versteckt. Einer, „der dafür steht, was am Ende gelebt wird“. Emotionen gehören im Sport dazu, „aber es gibt gewisse Grenzen“. Er würde „jedem Kind, was Bock auf die Kugel hat, unbedingt dazu raten, Fußball zu spielen“. Die Frage sei nur, welches Motiv dahinter steckt – ob man die Entscheidung aus eigenen Stücken trifft „oder sich von Eltern oder dem Umkreis leiten“ lässt. Bei ihm selbst sei es so gewesen, dass er „das Kinderzimmer schon im jungen Alter zusammengeschossen“ habe. „Da war in keinster Weise der Gedanke, ob ich durch den Fußball mal ein größeres Auto fahre, sondern es ging einfach nur darum, dass der Fußball ein geiler Sport ist“, so Jansen. Diese Einstellung ist heutzutage längst nicht mehr „en vogue“ – auch schon im Amateursport „wechseln Spieler wegen 30 oder 40 Euro mehr den Verein, lassen sich vom Geld locken und spielen nicht mehr aus Loyalität zum Verein“. Der Fußball lebe davon, „was auf den kleinen Sportplätzen passiert“, so Jansen. „Man sollte den Blick schärfen, wo der ‚richtige Fußball‘ stattfindet.“ Es komme nicht darauf an, „die teuersten Fußballschuhe unterm Weihnachtsbaum zu haben, sondern darauf, was da drin steckt“, befindet Jansen, der aktuell für den HSV III in der Oberliga kickt („Der Amateurfußball war und ist mein Zuhause“), ehe er erklärte: „Der Fußball hat eine hohe soziale Verantwortung. Der Sport generell ist eines der effektivsten Mittel, um Kinder und Jugendliche in ein soziales Umfeld zu bekommen. Aber der Fußball darf auch nicht für alles herhalten. Nichtsdestotrotz kann man die Verantwortung nicht immer weiterschieben, sondern muss sich an die eigene Nase packen.“

„Hype um Bibiana Steinhaus war größer, als wenn eine Frau Papst geworden wäre“
Auch Prof. Dr. Rainer Moritz, der selbst einen 14-jährigen Sohn hat, der beim SV Uhlenhorst-Adler aktiv Fußball spielt, weiß aus eigenem Empfinden: „Oftmals sind es die Eltern, die vom Ehrgeiz besessen sind.“ Der Fußball sei „ein Spiegel der Gesellschaft“ und inzwischen auch „eine Wirtschaftsmacht“, wie Moritz meint. „Wer mithalten will, muss sich den Geldprinzipien unterordnen.“ Auch Politiker würden sich „schnell mal Bonuspunkte einhandeln, wenn sie sich mit dem Volkssport Nummer eins brüsten“. Ein weiterer Einschnitt im Vergleich zu früher: Die sozialen Medien. „Das hat sich komplett geändert. Wenn heute irgendwo auf den kleinsten Sportplätzen etwas passiert, macht es sofort die Runde.“ Deshalb würde es nicht nur Bundesliga-Spieler und -Trainer betreffen, „wie man sich auf dem Platz verhält“, sondern auch die Amateursportler in einem „nach wie vor Männer-dominierten Sport“. Auch wenn „der mediale Hype um Bibiana Steinhaus in der Woche vor ihrem Bundesliga Debüt größer war, als wenn eine Frau Papst geworden wäre“, zog Moritz die Lacher auf seine Seite.

„Elternteile versuchen, aus einem x-beinigen Jungen einen Messi zu machen“
Eine Denkweise, mit der auch Lutz Lüttig, der nach seiner erfolgreichen Schiedsrichter-Karriere mittlerweile unter anderem als Trainer im Mädchen-Fußball tätig ist, mitgeht: „Der Vergleich zwischen dem Männer- und dem Frauenfußball stört mich enorm. Man kann das aus unterschiedlichsten Gründen nicht miteinander vergleichen. Inzwischen wird ja sogar versucht, Mädchen zu Jungen-Fußballern zu machen – das ist falsch.“ Ein weiterer Aspekt: „Einige Elternteile versuchen, aus einem x-beinigen Jungen einen Messi zu machen. Das gibt’s im Mädchen-Fußball nicht.“ Auch das Thema „ehrgeizige Eltern am Spielfeldrand“ sei nicht allgegenwärtig. „Eltern müssen davon wegkommen, in Kindern etwas zu sehen, was nicht in ihnen drin steckt.“ Apropos Frauen-Fußball: Dieser habe beim HSV „eine sehr unglückliche und schlechte Geschichte“, wie Jansen zugab. „Das Thema hat bei uns eine große Wichtigkeit. Wir arbeiten an einem Konzept – aber in einem zeitlichen Rahmen, der gesund ist. Wir wollen nichts versprechen, was wir nicht halten können.“

Erschreckende Zahlen: „Müssen alle etwas tun – jetzt und sofort“
Was die generelle soziale Verantwortung anbelangt, schaue man „oft nur auf die spektakulären Dinge, und nicht auf die sozialen Sachen, die in den Vereinen geleistet werden“, forderte Lüttig mehr den Blick hinter die Kulissen, stellte aber zugleich in den Raum: „An manchen Stellen frage ich mich, was der Fußball noch alles leisten soll?!“ Ein weiterer Diskussionspunkt: Gibt es mehr Gewalt auf den Sportplätzen? Lüttig: „Es ist schon erstaunlich, wenn man sich mal damit beschäftigt, was früher alles passiert ist. Das hätte heutzutage riesige Wellen geschlagen und wäre unvorstellbar. Man bekommt durch die mediale Bestrahlung schiefe Eindrücke.“ Dennoch nannte er alarmierende Zahlen: Allein in der Saison 2018/19 habe es 3000 Angriffe auf Schiedsrichter gegeben. „Wir haben in Deutschland 60000 Schiedsrichter. Das heißt: Jeder 20. wurde in der letzten Saison angegriffen. Das ist erschreckend. Wir müssen alle etwas tun – und zwar jetzt und sofort!“ Zahlen, die auch Marcell Jansen „erschreckend“ findet. „Wir müssen die Schiedsrichter schützen, Vorbilder sein und Haltung zeigen.“ Allein in den letzten acht Jahren habe man 20000 Schiedsrichter verloren – „und es werden noch mehr, wenn wir daran nichts ändern“, so Lüttig, der ebenso feststellte, dass „die Vorbildfunktion im Profi-Fußball liegt. Da schauen die Jungs hin.“ Nichtsdestotrotz betonte er: „Das Wichtige im Fußball sind nicht die Profis.“ Demzufolge müsse der DFB die Landesverbände mehr unterstützen. „Geld ist reichlich da!“ Es sei höchste Zeit, auch auf der Ebene „professioneller zu werden“. Genauso beim Thema Sportwetten, wo „die Versuchung allein schon dadurch ausgelöst wird, dass es Wetten gibt. Inzwischen habe das ein Level erreicht – auch durch den damaligen Hoyzer-Skandal –, wo Lüttig „für keinen Spieler die Hand dafür ins Feuer legen“ würde, dass er dies nicht tun würde, „auch bei Schiedsrichtern nicht“, gestand der ehemalige Unparteiische. „Denn die Unabhängigkeit der Schiedsrichter vom Geld ist vorbei. Durch dieses viele Geld besteht eine große Gefahr.“

„Geld macht nicht glücklich, sondern ist nur Mittel zum Zweck“
Abschließend erklärte Marcell Jansen, dass seine Eltern während seiner aktiven Karriere stets einen großen Einfluss auf ihn hatten: „Ihr Sohn war noch nicht der Nationalspieler. Er hat noch nicht die große Kohle nach Hause gebracht. Meine Eltern waren auch nicht reich.
Sie haben mir immer gesagt: Wir sind für unser eigenes Glück verantwortlich. Und wir sind reich – auch wenn wir nicht viel Geld haben. Wenn wir da hinkommen, mehr zur Realität, zur Faktenlage und die soziale Verantwortung für uns übernehmen und merken, dass das Geld manchmal auch nur ein Mittel zum Zweck ist und keine Überbedeutung bekommt, dann macht es uns glücklich. Denn am Ende wissen wir alle, dass Glück selten mit dem Begriff Geld zu tun hat. Es beruhigt nur.“ Und so ließ er den geselligen und munteren (Talk-)Abend mit folgendem Statement ausklingen: „Ich würde jedem Kind unbedingt dazu raten, Fußball zu spielen – aber wegen dem Spiel und nicht wegen dem dicken Auto!“

Text: Dennis Kormanjos